Stau in Deutschland: die Ferien nahen

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stauFoto: ACEStell’ Dir vor, es ist Urlaub, und keiner kommt hin....! Denn „Reisezeit“ ist in Deutschland mittlerweile gleichbedeutend mit dem Super-Stau auf deutschen Fernstraßen geworden. Doch auf unseren Straßen geht es nicht nur an den Urlaubstagen weder vor noch zurück. Heute stehen wir uns vielmehr ganzjährig in schier endlosen Blechschlangen die Reifen platt. Insofern bringt der Beginn der Urlaubszeit „lediglich“ eine – zugegeben drastische - Verschärfung der allgemeinen Verkehrsmisere. Wie aber könnte Bewegung in den Dauer-Stau kommen?

Die gute Nachricht für alle, die mit dem Auto in den Urlaub düsen möchten, mal gleich vorneweg: Zur Erleichterung des Ferienreiseverkehrs wird in der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. August der schwere Lkw-Verkehr in Deutschland an den Samstagen von 7 bis 20 Uhr beschränkt. Ob diese Maßnahme die zu erwartenden Staus verkürzen oder gar gänzlich verhindern helfen wird, darf indes bezweifelt werden. Denn mit Blick auf die hinlänglich erforschten Stau-Ursachen und eingedenk der zahlreichen Krisenzonen des deutschen Fernstraßennetzes steht zu befürchten, dass wir auch in diesem Jahr auf eine gigantische Stau-Katastrophe zusteuern werden.

In Zeitstunden gerechnet herrschte im vergangenen Jahr sage und schreibe 21 Jahre Stillstand auf den bundesdeutschen Straßen. So lautet jedenfalls die Staubilanz des ADAC, der die Autobahnstaus in 2011 auf die Gesamtdauer von 185.000 Stunden hochrechnet. Die übrigen Staus, die in Deutschland innerorts oder im sonstigen Straßennetz von den Autofahrern ebenfalls zu erdulden sind, wurden hier noch nicht einmal einbezogen. In Kilometern gemessen, bildeten die Stoßstange an Stoßstange aneinander gereihten Autos eine Blechschlange von 450.000 Kilometer Länge. Der Umweltbilanz tut das quälende Stopp & Go ganz gewiss nicht gut. Im Gegenteil: Experten schätzen den zusätzlichen Spritverbrauch auf bis zu 50 Millionen Liter Kraftstoff. Würde der Verkehr reibungsloser fließen, könnten allein dadurch 18 Prozent der CO2-Emissionen im Straßenverkehr eingespart werden. Und rein monetär sind die Millionen von Staus in Deutschland ebenfalls ein übler Schlag ins Kontor. Dr. Roman Suthold, Leiter der Abteilung Umwelt und Verkehr beim ADAC, beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten auf etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr. Tagtäglich kosten uns die Staus in Deutschland also satte 275 Millionen Euro. Zeit, Rohstoffe, Geld: Stau ist ein Ressourcenkiller der allerschlimmsten Sorte. Erstaunlich, dass das Problem in Deutschland scheinbar nicht in den Griff zu bekommen ist. Die Einsparpotentiale sollten freilich Anreiz genug sein, das Stau-Phänomen energisch zu bekämpfen.

Wo steht’s in Deutschland?


Werfen wir den Blick einmal in den Süden Deutschlands. Denn hier – auf der A8 von Salzburg nach München - entsteht mit unschöner Regelmäßigkeit der wohl größte Autostau. Dort sind an den Augustwochenenden Blechschlangen von 30 bis 50 Kilometern Länge beinahe üblich. Als Ursache ist die zweispurige enge Trassenführung zwischen Bad Reichenhall und Rosenheim ausgemacht. Zuweilen gibt es nicht einmal einen Standstreifen, so dass bereits ein Unfall oder eine Autopanne genügen, um kilometerlange Staus hervorzurufen. Generell läßt sich sagen, dass liegengebliebene Fahrzeuge und Baustellen die Verkehrssituation besonders auf den Streckenteilen dramatisieren, die sowieso ein überdurchschnittliches Verkehrsaufkommen verkraften müssen. Dies sind die zehn am stärksten befahrenen Straßenabschnitte des deutschen Autobahnnetzes im Überblick:

•    A100 bei Berlin: 191400 Fahrzeuge pro Tag
•    A3 bei Köln: 165000 Fahrzeuge pro Tag
•    A5 beim Frankfurter Kreuz: 150700 Fahrzeuge pro Tag
•    A7 bei Hamburg: 137700 Fahrzeuge pro Tag
•    A8 bei Leonberg: 133000 Fahrzeuge pro Tag
•    A9 nördlich von München: 131000 Fahrzeuge pro Tag
•    A2 bei Hannover: 129000 Fahrzeuge pro Tag
•    A40 bei Essen: 128600 Fahrzeuge pro Tag
•    A66 bei Frankfurt/Höchst: 124000 Fahrzeuge pro Tag
•    A111 bei Berlin/Tegel: 121500 Fahrzeuge pro Tag

Mit Erweiterung der Europäischen Union ist Deutschland automatisch in das Herz Europas gerückt. Wir sind ein Transitland geworden. Unsere polnischen Nachbarn reisen über die A2 in Richtung Westen. Nordeuropäaer zieht es über die A9 in Richtung Süden. Schließlich macht der auf unseren Straßen rollende Güterverkehr das Chaos perfekt: Nahezu der gesamte West-Ost-Transport innerhalb Europas wird nämlich über deutsche Autobahnen abgewickelt. In der Regel liegt die durchschnittliche Kapazität einer Straße bei 1.500 bis 2.500 Fahrzeugen pro Stunde und Spur, insofern sich die Verkehrsteilnehmer mit einer Geschwindigkeit von 80-100 km/h bewegen. Schwankungen in der Durchflussgeschwindigkeit verringern die Kapazität allerdings erheblich. Solche Schwankungen können durch ungünstige Wetterbedingungen, Baustellen, Autopannen, Unfälle, Schaulustige und sonstige undisziplinierte Verkehrsteilnehmer hervorgerufen werden, die andere Autofahrer wiederum zu Bremsmanövern nötigen. Hierin liegt im Übrigen die Überlegenheit von Ameisen, welche sich ja bekanntermaßen ebenfalls in großer Zahl auf einem festgelegten Straßennetz fortbewegen – freilich reibungslos. Denn stockender Verkehr oder gar Staus sind den emsigen Krabbeltieren völlig unbekannt. Wir werden später sehen, warum Ameisen selbst bei stärkstem Verkehrsaufkommen niemals aus dem Tritt geraten.

Gut 2.000 zusätzliche Autobahnkilometer – so der Beschluss der Bundesregierung – sollen bis zum Jahr 2015 das Fernstraßennetz erweitern. Ob sie wirksam Entlastung bringen können, ist fraglich, denn Deutschland verfügt bereits über eine recht gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur. Immerhin umfasst das Streckennetz stolze 12.690 Kilometer. Ob da 100 zusätzliche Autobahnkilometer pro Jahr der Stauproblematik wirklich Einhalt gebieten? Eingedenk der soeben erwähnten Ameisen benötigen wir vielleicht nicht mehr Straßen, sondern eher intelligente Konzepte zur Steuerung des Verkehrsflusses. Doch werfen wir zunächst einen Blick auf ein Phänomen, dass wir Autofahrer häufig als eigentliche Verursacherin von Staus brandmarken: die Baustelle.

Baustelle = Staustelle?


Im Stau stehen kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Nerven. Die erzwungene Wartezeit verbringen gestresste Autofahrer gerne mit der gedanklichen Suche nach dem Sündenbock. Häufig werden dann eben diese Baustellen für den Hauptgrund der Stauproblematik gehalten. Aber nicht immer hat die Baustelle den schwarzen Peter auch tatsächlich verdient. Derzeit wird an rund 300 Stellen auf Autobahnen, Ausfahrten und Überleitungen gebaut. Bis zu Beginn der Ferien soll deren Zahl allerdings um 40 Prozent gesunken sein. Auf folgenden Strecken werden die Arbeiten dem ADAC zufolge allerdings bis Herbst andauern:

•    A1 Hamburg - Bremen und Dortmund - Köln
•    A2 / A7 im Bereich Kreuz Hannover-Ost
•    A4 Aachen - Köln
•    A5 Karlsruhe - Basel
•    A7 Flensburg - Hannover vor dem Hamburger Elbtunnel
•    A8 Karlsruhe - Pforzheim und Günzburg - Augsburg
•    A45 Gießen - Hagen
•    A61 Speyer – Hockenheim

Baustellenspitzenreiter ist übrigens die A1 Hamburg – Bremen. Hier bringen es die Baustellenabschnitte auf eine Gesamtlänge von beachtlichen 90 Kilometer. Doch sei die Baustelle kurz oder lang: In jedem Fall schlängelt sich die Blechlawine genervt durch die Baustellen-Zone. Der Stillstand, der drängelnde Hintermann, der Zeitdruck: es gibt viele Gründe, warum der leidgeprüfte Autofahrer den Bauarbeiten so manche Verwünschung widmet - falls er denn einen Bauarbeiter zu Gesicht bekommt! Denn oftmals sind weit und breit keine Arbeiter zu entdecken. Und dennoch ist die Piste kilometerlang mit Pylonen abgesteckt. Schon schießen die Spekulationen ins Kraut: Handelt es sich angesichts dieser Geister-Baustellen bloß um schlechte Planung und nachlässige Durchführung oder gar etwa um pure Schikane? „Weder noch“, antworten die für den Straßenbau zuständigen Landesbetriebe. Aus Gründen der Verkehrssicherheit sei es vielmehr zwingend erforderlich, Beruhigungsstrecken einzurichten, um die Geschwindigkeiten im Baustellenbereich schon im Vorfeld entweder angemessen zu reduzieren oder aber den Verkehr auf andere Fahrrichtung zu leiten. Der eigentliche Baustellenbereich hingegen erstreckt sich dann oftmals nur über einige hundert Meter Länge. Gleichwohl sind Baustellen nicht das eigentliche Problem für die deutsche Staukrise. Verkehrsexperten beziffern ihren „Stauanteil“ auf lediglich 30 Prozent. 25 Prozent der Staus werden hingegen durch Unfälle verursacht, und 5 Prozent gehen auf das Konto ungünstiger Witterungseinflüsse. Die übrigen 40 Prozent sind von uns selbst, den Autofahrern beziehungsweise unserem Verhalten verursacht.

Der Stau sind „Wir“


Je höher das Verkehrsaufkommen, desto nichtiger kann der Anlass für einen Stau sein. Es genügen bereits ein auf dem Standstreifen geparktes Auto und ein paar neugierige Langsamfahrer, um einen Stau aus dem Nichts entstehen zu lassen. Jeder kennt das: Trotz freier Strecke und guter Sicht bildet sich plötzlich ein Stau. Irgendwann fließt der Verkehr jedoch wieder – ohne dass eine Ursache (Unfall, Panne, Baustelle) erkennbar wäre. Solche Staus, die quasi aus dem Nichts entstehen, werden durch das sogenannte Nagel-Schreckenberg-Modell“ der Physiker Kai Nagel und Michael Schreckenberg erklärt. Die These lautet: Wenn alle Fahrzeuge stets konstanten Abstand zueinander einhielten, dann würde es keine Probleme geben. Oder wenn alle Fahrer sich einigten, gemeinsam stets langsamer zu fahren, je mehr Autos hinzukommen. Besagte Ameisen tun genau dies! Deshalb gibt es auf Ameisenstraßen keinerlei Stau. Aber der Mensch ist ein Individuum, das leider schon an einfacheren Aufgaben scheitert, wie ein Praxistest des Nagel-Schreckenberg-Modells an der Uni Köln ergab. 24 Autos fuhren gleichmäßig im Kreis hintereinander her, und nach zehn Minuten kam es zum totalen Stillstand. Was war geschehen? Ein Autofahrer bremste stärker als nötig ab und löste so eine Kettenreaktion aus. Jedes weitere folgende Auto bremst wieder ein Stück mehr ab, bis der Verkehrsfluss total zum Erliegen kam.
Es gibt freilich auch komplexere Erklärungsmodelle für die Geschwindigkeitsschwankungen, zu denen Autofahrer auf Reisen neigen. Demnach soll das Fahrerverhalten im Wesentlichen ein Reflex auf die Rezeption von Fahrbahn und Umgebung sein. Verhaltensbestimmende Wahrnehmungsinhalte im Blickfeld des Fahrers können etwa die Tiefe und die Breite des Blickfeldes sein. Blickfeldverkürzungen (durch Bebauung oder Bepflanzung zum Beispiel) können zu Verlangsamung der Geschwindigkeit führen, während eine Weitung des Blickfeldes durch zum Beispiel eine freie Fläche oder den breiter werdenden Horizont unweigerlich zur Beschleunigung des Reise-Tempos führt. Geschwindigkeitsverändernde Parameter sind ferner Helligkeits- und Farbkontraste, Dichte und abrupte Wechsel im Blickfeld. Heißt im Klartext: Das durchaus wünschenswerte Ziel, dass Autofahrer einen definierten Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einhalten, entspricht nicht dem menschlichen Wahrnehmungs- und Reaktionsapparat.

Was den Ameisen gegeben ist, fehlt uns Menschen offenkundig: die Fähigkeit zur gleichmäßigen Fortbewegung. Daher nutzen wohl auch keine zusätzlichen Fahrspuren oder neue Autobahnabschnitte. Selbst 12-spurige Highways verstopfen in der Rushhour, da die optimale Durchflussgeschwindigkeit nicht von allen Autofahrern beibehalten wird. Auch wird es immer wieder Unfälle geben. Selbst Baustellen sind unvermeidlich, denn alle 15 Jahre muss der Straßenbelag einer stark befahrenen Autobahn erneuert werden.

Intelligente Verkehrsleitsysteme


Wenn ein steigendes Verkehrsaufkommen gleichbedeutend ist mit erhöhter Staugefahr, dann ist die Entzerrung von Ferienzeiten natürlich schon mal ein sehr probates Mittel, um die Verkehrsdichte auf den Straßen einigermaßen zu kontrollieren. Zudem müsste ein erhöhtes Verkehrsaufkommen intelligent geleitet werden, um eine möglichst hohe Durchflussgeschwindigkeit aufrechtzuerhalten. In Deutschland läuft die geschwindigkeitsvariable Verkehrsführung in der Regel über Verkehrsflusssensoren, die etwa alle vier Kilometer auf deutschen Autobahnen positioniert sind. Solche Leitsysteme arbeiten in der Regel auch recht erfolgreich. Als Positiv-Beispiel mag die viel befahrene A40 zwischen Essen und Bochum gelten. Geschwindigkeit und Zufluss werden hier elektronisch so effektiv geregelt, dass der totale Verkehrs-Infarkt der Hauptverkehrsader des Ruhrgebiets selbst während der Rush-Hour ausbleibt. Auch Tempolimits könnten ein bedeutendes Element zur Stauprävention sein. Allerdings ist die Diskussion um streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen von verkehrsideologischen und industriepolitischen Argumentationen belastet.

Der Individualverkehr behilft sich derweil mit GPS-gestützten Navigationssystemen, hofft auf gute und rechtzeitige Empfehlungen durch das integrierte TMC (Traffic-Message-Channel) oder verlässt sich auf die Informationen des Verkehrsfunks. Beide Dienste bieten jedoch in der Regel lediglich Informationen zu der Verkehrssituation auf den Autobahnen. Staus in den Städten und auf Bundes- sowie Landstraßen bleiben hingen außer acht. Abhilfe verspricht hier die neueste Technologie namens ITS (Intelligent Traffic Systems). Dieses System wird bereits von etlichen Auto-Herstellern angeboten, da es deutlich präzisere Daten zur Staumeldung und –Umfahrung meldet als das eingeschränkte TMC. Via ITS werden die in den Autos zu Hunderttausenden mitgeführten Mobiltelefone oder installierten GPS-Geräte zur präzisen Messung der Verkehrsdichte und der Reisegeschwindigkeit genutzt, um dem Fahrer exakte Informationen zu der von ihm gewählten Route liefern zu können. ITS berücksichtigt auch die Verkehrssituation innerorts und auf Überlandstrecken. Entsprechend konkret sind dann auch die Empfehlungen für die aktive Verkehrsführung oder eine effiziente Stau-Umfahrung.

Technisch sind sogar noch ganz andere Lösungen denkbar. Solche nämlich, die nicht nur regeln und leiten, sondern auch den Fahrer beziehungsweise sein Verhalten konditionieren. Der Lernprozess ginge dann über die Geldbörse. Dieser Beitrag zur Stauprävention versteht sich dabei als erweitertes Technik-Tool zur (noch einzuführenden) elektronisch gesteuerten PKW-Maut. Erdacht hat diese Lösung der in Logistik-Kreisen als Verkehrsexperte hochgeschätzte Ralf Jahncke. Seine Lösung heißt „MobiTax“. Ihr Schöpfer versteht MobiTax als „Ansatz zur volkswirtschaftlich sinnvollen Bepreisung der Straßeninfrastruktur“. In technischer Hinsicht handelt es sich dabei um ein Fahrzeugdisplay, das via Satelliten-Information permanent das aktuelle Nutzungsentgelt für die Fahrt anzeigt - wie im Taxi gewissermaßen. Und im Stand tickt die Uhr natürlich weiter. Im Stau stehen kann also richtig teuer werden. Denn neben Zeit und Sprit fallen nun auch Gebühren an. Wer sich in den Stau stellt, zahlt einen kräftigen Zuschlag - wer dagegen auf einen wenig befahrenen Umweg ausweicht, wird mit Rabatt belohnt. Auf diese Weise soll für eine bessere Auslastung der vorhandenen Streckennetze gesorgt werden. Nur Zukunftsmusik…?

 

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